Angehende Juristen mogeln sich mit Betablocker durch die Prüfungen, Manager greifen während der Anti-Aging Kur zu Anabolika-Cocktails, und Künstler helfen ihrer Kreativität mit LSD auf die Sprünge – hat irgendjemand «Betrug!» gerufen?
Im Sport lechzen wir nach Helden, doch es gelten andere Massstäbe als bei Hochschulprüfungen, in Managerkreisen oder in der Kunstszene. Während Praktiken mit Dopingsubstanzen weitherum als Privatangelegenheit abgetan werden, erhalten die Helden im Sport unseren Respekt nur, wenn ihr Blut rein, ihre Leistung sauber und der Sieg «verdient» ist. Wenn also eine Weitspringerin mit Anabolika drei Zentimeter weiter hüpft als ohne, oder der Velorennfahrer sich mit EPO den Berg hinauf quält anstatt ohne, dann gilt das als unfair und muss abgestraft werden. – Doch was tun, wenn selbst bei der Dopingbekämpfung betrogen wird?
Wer Doping mit Dopingbekämpfung bekämpft, mag von edler Gesinnung sein, kämpft aber einen Kampf gegen Windmühlen. Die Spirale der Manipulationen, Täuschungsmanöver und Intrigen dreht und dreht sich und nimmt immer groteskere Züge an. – Gelingt es uns, aus dieser verhängnisvollen Spirale auszubrechen?
Wir sollten uns überlegen, Doping nicht mehr zu sanktionieren. – Ich bin dafür, Doping als real existierende Bedrohung anzuerkennen und genau so zu benennen, es aber dem Einzelnen zu überlassen, ob und wie er sich dopt. Ich bin dafür, Sport und alle damit verbundenen Leiden, aber auch alle damit verbundenen Freuden (!) als das anzuerkennen, was sie sind: als Teil unserer Kultur.
Sport ist nicht Spiel, denn Sport ist verbindlich. Und Sport ist kompetitiv. Der Wettkampf ist das zentrale Element, der Wettbewerb die Triebfeder. Sport unterstützt uns darin, eigene Grenzen zu erkennen – und zu überwinden. Sport lässt mich mit mir selber vergleichen, und mit anderen. Werde ich morgen schneller laufen als noch heute; bin ich in drei Monaten stärker als ich es heute bin – und was wird in drei Jahren sein? Wo werde ich dann stehen; was vermag ich dann zu leisten?
Meine Persönlichkeit, meine Leistungsfähigkeit und mein Training ergeben im klugen Zusammenspiel meine persönliche Fitness, die ich als Aktive Gesundheit bezeichne. Die Aktive Gesundheit ist mein Potenzial – sie ist meine Basis worauf ich mit Zuversicht bauen kann, auch im emotionalen und sozialen Bereich. Folgendes Schema soll diese Zusammenhänge aufzeigen:
Als Leistungspädagoge bin ich bestrebt, das Potenzial (die Aktive Gesundheit) meiner Kundschaft zu fördern: Ich trage massgebend dazu bei, dass sich 1. deren Persönlichkeit herausbildet (z. B. vom Sportler zum Athleten), dass sie 2. ihr individuelles Training selber zu steuern lernt (Know-how Transfer), und dass sie 3. in der Lage sein wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt unter allen Umständen die bestmögliche Leistung zu erbringen. Die aktive Gesundheit ist DAS Kapital eines Jeden.
Dopingsubstanzen sind Werkzeuge zum Manipulieren! – Dopingsubstanzen können einen Prozess positiv beeinflussen; sie haben aber eine desaströse Wirkung, wenn sie als Ersatz für mangelndes Training oder als Stütze für eine wenig stabile Persönlichkeit herhalten müssen. Wer also intensiv an und mit dem eigenen Potenzial, oder als Trainer mit der Gesundheit eines Athleten, arbeitet, wird diese nicht durch fragwürdige Manipulationen gefährden, und sich sehr genau überlegen, ob und gegebenenfalls wie sie eingesetzt werden.
Darum meine Faustregel: Wer im Junioren-/Nachwuchsalter mit Talent und klugem Training natürlicherweise nicht bis an 10 % der aktuellen Weltbestleistung (Weltrekord) herankommt, hat keinen leistungsrelevanten Grund, sich mit derart manipulativen Werkzeugen zu beschäftigen.
Die Verlockung, sich mit einem Wundermittel die geheimsten Wünsche zu erfüllen, wird dennoch gross sein. Und wie die Geschichte der Menschheit zeigt, wird jeder Verlockung irgendwie von irgendwem irgendwann nachgegeben. Darum soll der Gebrauch von Dopingsubstanzen im Jugendalter unter Strafe gestellt werden, im Erwachsenenalter aber Privatsache bleiben.
Wird hingegen Sport auf höchstem Niveau betrieben und wird damit Ehre, Ruhm und Geld verdient, sollte die Verwendung dieser Werkzeuge mittels Selbstdeklaration offengelegt, und die Offenlegung überprüft werden. Kontrollen dienen dazu, festzustellen, ob die Selbstdeklaration mit den gemessenen Werten übereinstimmt. Stimmt sie nicht überein, d.h. findet man Dopingsubstanzen, die nicht deklariert worden sind, kommen der Sportler, der Trainer und der Arzt an den Internet-Pranger und werden für eine bestimmte Zeit vom Sportgeschehen und damit von Ehre, Ruhm und Geld ausgeschlossen.
Die Kontrollen werden bei Qualifikationswettkämpfen, Meisterschaften und Olympischen Spielen stichprobenartig durch das ganze Teilnehmerfeld und grundsätzlich bei allen Finalisten durchgeführt. Die Resultate werden online gestellt – genauso wie zuvor die Selbstdeklaration aller Teilnehmenden.
Das führt dazu, dass nicht mehr die Verwendung von Dopingsubstanzen sanktioniert wird, sondern die Falschaussage. Der Betrug ist also nicht mehr die Verwendung dieser Werkzeuge, sondern die Verheimlichung oder Verschleierung. Das hat folgende Vorteile:
- Transparenz: Alle Welt weiss, wer wieviel wovon zu sich genommen hat.
- Erkenntnisgewinn: Wissen und Risikoeinschätzungen werden allen zugänglich gemacht; jedermann ist der aktuelle Stand des Halbwissens resp. des Verwendungszwecks bekannt.
- Sonderregelungen, ärztliche Zeugnisse und «Therapiefenster» braucht es nicht mehr!
- Trainer wie Athleten tappen bezüglich Verwendung und Dosierung von hochgradig riskanten Stoffen und Substanzen weniger im Dunkeln, und die Verdächtigungen gegenüber den Mitkonkurrenten werden versachlicht.
- Spätfolgen können systematisch analysiert und kenntlich gemacht werden.
- Der Schwarzhandel und die Drogenküchen werden ausgemerzt und die Sekundärrisiken damit deutlich reduziert.
- Strafverfolgungsbehörden, Medien und Verbände erhalten neue Aufgaben; vorhandene Mittel (Geld, Manpower) können vermehrt im Nachwuchsbereich oder in der Trainierbildung eingesetzt werden (Animation pro Sport).
- Der Wert und die Qualität des Trainings und der Persönlichkeitsbildung werden wieder vermehrt in den Vordergrund gestellt.
- Sport kann wieder Sport sein, denn wie gesagt: wer im Jugend-/Nachwuchsalter natürlicherweise nicht bis an 10 % der Weltbestleistung herankommt (das sind 99,999 % aller Sporttreibenden), wem das Talent also nicht hold ist, der Körper nicht für Spitzenleistungen vorbestimmt ist, oder – viel häufiger – der psychosoziale Bereich nicht wettkampfbeständig ist, hat keinen Grund, sich mit Doping und anderen Formen der Manipulationen überhaupt zu beschäftigen. Es braucht kein Doping, um im/mit Sport glücklich zu werden!
Natürlich wird es so sein, dass dennoch getrickst und geschummelt wird. Doch der Wettbewerb der Kontrolleure wird genauso angestachelt! – Darum ist auch meine Hoffnung nicht abwegig, dass sich eine neue Gewichtung in der Wahrnehmung unserer Sporthelden ergeben wird: Ein 3. Platzierter kann bei seinen und den gegnerischen Fans eine grössere Bewunderung auslösen als der Sieger, wenn er nachweisbar weniger, oder dank überragendem Talent und klugem Training gar nicht «nachgeholfen» hat. Und wo die Bewunderung ist, wird auch das Geld sein, und wo das Geld ist, ist die Zukunft des Sports.
Wir haben als Gesellschaft erstaunlich rasch gelernt, mit Drogenexzessen umzugehen. So werden wir auch lernen, mit Doping umzugehen. Die Verteufelung hat uns in die Sackgasse geführt. Jetzt sind Differenzierung und Eigenverantwortung gefragt; kluges Freigeben, gerade auch um Erkenntnisse zu gewinnen und das Bewusstsein zu schärfen, kann uns alle weiterbringen und dem Sport nur nützen.
Daniel Louis Meili, Basel (Dezember 2017)
Weiterführende und vertiefende Beiträge zur Dopingproblematik sind hier abruf- und downloadbar:
- Aktive Gesundheit (Potenzial): Anmerkungen und Schema
- Training: Anmerkungen und Schema
- Persönlichkeit: Anmerkungen und Schema
- Leistung (Erfolg): Anmerkungen und Schema
- Beispiel einer Selbstdeklaration
- Diesen Beitrag als PDF downloaden: Doping freigeben?
- Zum NZZ-Artikel vom 7.7.2017: „Dopingproblematik auf den Kopf gestellt“
- Replik zum obigen Artikel von Daniel Eckmann (NZZ vom 13.7.2017): „Reines Gewissen, aber dreckiges Blut?“
- Duplik zu Daniel Eckmanns Artikel von Walter Aeschimann vom 17.7.2017: „Die Legalisierung von Doping ist bedenkenswert.“
- SRF-Radio-Interview vom 13.12.2017: „Soll Doping legalisiert werden?“
- SRF-Interview (schriftform) vom 14.12.2017: „Deklarieren statt verschleiern.“
Bei Fragen oder für eine weiterführende Auseinandersetzung ist der Autor zu erreichen unter: welcome@meili.ch